Von guten Mächten wunderbar geborgen
07.04.2017, Im Hauptschiff des Trierer Domes
In dem Moment, als ich den Trierer Dom betrete, ertönt Orgelmusik. Ehrfurcht erfasst mich und ich beschließe, mich kurz zu sammeln und mich mit geschlossenen Augen auf den #Schreibort der Woche einzustimmen.
Ich sitze in der ersten Reihe, weit entfernt vom Altar, halte mein Schreibbuch auf den Knien, vor mir werden Stühle und Notenständer gerückt. Die Johannes-Passion soll aufgeführt werden, Ostern steht an, das Ende der Passionszeit.
Das Klackern von Schraubenschlüsseln und Stuhlbeinen so wie das Abreißen von Klebebändern stören die Stille, die in diesem Gemäuer hängt. Ich denke darüber nach, dass die Steine, die mich umgeben, getränkt sein müssen mit Gebeten und flehendlichen Anrufen und überlege aufzustehen, um mein Ohr zum Lauschen an die Säulen zu legen. Steine sind lebendig, hat mir einmal jemand erklärt, was sie wohl zu erzählen haben?
Mein Herz öffnet sich unweigerlich, ich lasse die Musik hinein, es ist, als schwebe sie mich bis hoch zur schnörkellosen Decke des Hauptschiffes. Der romanische Stil dieses Gotteshauses ist schlicht, die Fenster sind es ebenso. Wie häufig ist dieses Gebäude eigentlich von Menschen angegriffen worden, frage ich mich und wie sahen die Fenster zu Beginn des Baues wohl aus?
Plötzlich schieben sich Bilder des zerstörten Syriens vor mein inneres Auge. Ich bin fassungslos darüber, was der Mensch dem Menschen antut und warum sich Destruktion wider besseren Wissens wiederholt, als sei sie in unseren Seelen verankert. Merkwürdig, dass ich an einem Ort des Glaubens daran denken muss, aber werden und wurden nicht im Namen des Herrn oder anderer Religionen zahlreiche Kriege geführt?
Die Luft im Dom ist angenehm kühl und noch Weihrauch-geschwängert. Ich halte inne. Einfach drauf los zu schreiben ohne nachzuspüren gelingt mir hier nicht. Immer wieder kehre ich zu jener konzentrierten Stille zurück, die aus den letzten Jahrhunderten hinüber zu schwappen scheint.
Wie viele Menschen versammeln sich hier regelmäßig zu Jahresfesten, Gottesdiensten, Konzerten und Andachten? Der Dom ist ein Ort der Ritualisierung, das wird mir klar, ein Ort der Verlässlichkeit in Zeiten, da wir oft nicht wissen, wo oben und unten ist. Kirchen wurden vor vielen Jahrhunderten erbaut, wurden zerstört und wieder rekonstruiert, sie bleiben uns erhalten. Hier werden wir getauft, getraut und verabschiedet, unsere Lebenszyklen finden wir in ihnen wieder.
Die Orgel schweigt, das Klackern vom Aufbau der Stühle hallt nach. Einer der Musiker steht versonnen inmitten dieser Szene. Er versucht den imaginären Klang zu sortieren, richtet Plätze und Notenständer neu aus und wiegt seinen Kopf. Die dicken Mauern der Kirche bleiben von seinem Gestus unbeeindruckt.
Das ist es, was diesen Schreibort auszeichnet. Er lädt mich ein, mich auf eine unaufgeregte Weise zu sammeln (bereits im zweiten Satz taucht das Wort sammeln auf, merke ich gerade) und zu fokussieren. Ein 1677 Jahre alter Dom kennt alle Nuancen des menschlichen Seins und hält meine Gedanken sanft wie eine Mutter ihr Kind. Ich spüre hier meine spirituelle Verbindung und ein unsichtbares Band zu den Ahnen. Hier kann ich sicher sein, dass meine Worte gut aufbewahrt sind und darauf hoffen, dass ich frei nach Rilke in meine Antworten hineinleben werde.
Die Orgel brandet zu einem Jubel auf – mein Herz weitet sich. Genährt und erfüllt packe ich Heft und Stift ein und bleibe schweigend noch eine Weile sitzen – die lautlose Johannes-Passion im Ohr. Zum Konzert werde ich leider nicht gehen können.
Anmerkung: Eigentlich ähnelt der Dom einer Flaschenpost. In ihm werden unausgesprochene Worte aufbewahrt für die Suchenden. Er treibt nur nicht davon…
Wo sich meine Flaschenpost von letzter Woche gerade befindet, kann ich leider nicht sagen. Ich denke, sie schwimmt weiterhin rheinabwärts.
11 Kommentare
Lieber Daniel,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, ich schreibe sehr gerne in Kirchen, je älter sie sind, um so lieber, denn dort kann sich in mir alles sammeln und konzentrieren, das brauche ich manchmal im Schreiben.
Und, wenn dann noch die Orgel zeitgleich spielt, schleicht sich die Ehrfurcht und eine besondere Form der Demut ein, die die Relationen in meinem Leben gerne wieder gerade rückt.
Wie toll, dass du so ein Instrument spielst …
Liebe Sabine,
wie schön, dass ich dir Bonhoeffers Zeilen nahe bringen konnte. Immer wieder frage ich mich beim Schreiben, wie kann es gelingen eine bestimmte Atmosphäre einzufangen?
Beste Grüße an euch beide
Hedda
Liebe Hedda,
meine Lieblingsstelle ist die folgende: „…überlege aufzustehen, um mein Ohr zum Lauschen an die Säulen zu legen. Steine sind lebendig,…“. So lebendig wie deine Beschreibung, so, als würde ich da mit dir sitzen und der Orgelmusik, deinen Gedanken, den Zeilen von Rilke, der Geduld lauschen und mich in der Überschrift, zwischen den Worten sicher wiederfinden: Von guten Mächten wunderbar geborgen. EIn Lied, mit dem ich bis zur Beerdigung meiner geliebten Großtante im letzten Jahr nicht viel anfangen konnte. Jetzt schon, weil ich in deinen und den Liedzeilen (m)eine Gewissheit wiederentdeckt habe …
Danke dafür,
Sabine
Ich habe 15 Jahre in der Kirche georgelt – dort zu schreiben ist mir aber noch nicht eingefallen. Ich schätze, ich werde das demnächst mal ausprobieren. Ich kann mich Amy anschließen – der Raum spricht zu einem unabhängig davon, ob eine Beziehung zu einem Gott angenommen sein mag oder nicht und wie sie aussehen mag oder nicht. Gestern habe ich im Osterurlaub nach ein paar Jahren Pause mal wieder eine Orgel ausprobiert. Am Anfang war ich in der Kirche allein und als ich eineinhalb Stunden später wieder nach unten kam, saßen da 20 Leute rum. Ich war einigermaßen erstaunt. Wäre mir das früher klar gewesen, hätte ich mich vielleicht mehr angestrengt an den Tasten – aber dann wäre es nicht so entspannend gewesen 🙂 Bin gespannt auf die kommenden Schreiborte!
Frohe Ostern
Daniel
Liebe Hedda,
nein im Trierer Dom war ich noch nie, aber dank Deiner stimmungsvollen Beschreibung sitze ich sofort neben Dir in der Kirchenbank und lausche den Orgeltönen. Ich erstaune in Kirchen immer wieder vor der Schaffenskraft der Bauleute. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber in diesen Räumen beschleicht mich Ehrfurcht und bei längerem Verweilen wird es friedlich und ruhig in mir. Obwohl ich dort nicht als Suchende hineingehe, trete ich verändert wieder in den Alltag hinaus. Ich werde beim nächsten Besuch im Frankfurter Dom mal meine Schreibsachen mitnehmen und schauen, was dann passiert.
Ich bin gespannt, wohin Deine nächste Reise führen wird.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
es freut mich so sehr, dass dieser Blog vielleicht dazu beitragen kann, auszuprobieren, wie es sich an unterschiedlichen Orten schreibt. Ich finde ja, dass nicht nur Ort uns beeinflusst, sondern auch die Geräusche oder die Musik, das Licht, die Tageszeit und..und…eigentlich alle Dinge, die unsere Sinne ansprechen, können dazu beitragen, dass die Buchstaben in die ein odr andere Richtung fließen. Das finde ich sehr spannend und probiere gerne weiter aus.
Bitte berichte mir unbedingt von deinen Erfahrungen.
Alles Liebe
Hedda
Liebe Hedda,
beim Lesen hat mich eine wohltuende Ruhe durchströmt. Die Stimmung im Kirchenschiff hast du nachfühlbar eingefangen. Einerseits diese Verbindung zur Vergangenheit, zu unseren „Vorvätern“, unserm menschlichen Ursprung. Auch wenn die Steine sicherlich viel Leid gehört haben. Trotzdem überwiegt das Gefühl des geborgen Seins und erlaubt eine innere Einkehr.
Ich empfinde ähnlich im Gebirge. Die unveränderlichen Felsen geben eine Zuversicht in etwas Ewiges und Starkes, aber erinnern auch an die eigene Vergänglichkeit. Und irgendwie ist das auch tröstlich.
Auch das Foto mit der Weihwassermuschel gibt diese Stimmung der Geborgenheit (wie in einer Hand gehalten werden) gut wieder.
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike,
vielen Dank für deinen Kommentar und die Beobachtung, dass die Weihwassermuschel wie eine haltende Hand wirkt. Auch das Thema Konzentration ist dort für mich symbolisch zu finden und natürlich das Thema Lebenszyklus – mir kommt sofort die Assoziation von Botticellis Geburt der Venus.
Es freut mich, deine Assoziationen vom Gebirge zu lesen, so weite ich meinen Horizont und dafür bin ich sehr dankbar.
alles Liebe
Hedda
Liebe Hedda,
auch diesem Post fühle ich mich sehr nahe. Ich spüre im Text, wie Kirchenbesuche mich immer noch aus den Latschen hauen, obwohl ich mit dem Gedöns schon lang nichts mehr zu tun habe. Das Über-Menschliche hallt nach. Allerdings frage ich mich, ob nicht auch die unausgesprochene Worte im Dom davontreiben können. Ich weiß jedenfalls nicht mehr, für was ich früher alles gebetet habe. Oder habe ich dich falsch verstanden? Hast Du auch ein Foto von dir auf dem Domstein gemacht? Davon habe ich etliche, bei jedem Trierbesuch wurde eins gemacht:) Ich war übrigens so frei, deine Schreiborte auf meiner Seite digitalschreiben.wordpress.com zu verlinken.
LG Amy Novice
Liebe Amy,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, das verlinken steht diese Woche unbedingt an, ich hatte hier noch ewig viel zu erledigen, aber jetzt. Diese Blogvielfalt begeistert mich sehr und ich wünschte, ich könnte alle Beiträge intensiv lesen und kommentieren.
Natürlich wird es auch viele anklagende Worte in einem so alten Dom geben, ich stelle aber fest, es ist die Gesamtatmosphäre, die mich gefangen nimmt und die ist umso intensiver, je älter die Kirche ist. Das kann nur an den Worten liegen, oder ?
Liebe Grüße
Hedda
Ach Hedda,
schon wieder so schön… Deine Beschreibung, wie du die Orgelmusik erlebst, hat bei mir ein kleines Gänsehaut-Crescendo ausgelöst. Genauso wie mein Lieblingssatz in diesem Post: „Anmerkung: Eigentlich ähnelt der Dom einer Flaschenpost. In ihm werden unausgesprochene Worte aufbewahrt für die Suchenden. Er treibt nur nicht davon…“
Ich hab sehr gern mit dir in diesem Dom verweilt. Die Orgelmusik hat sogar für einen Moment mein Naturkonzert übertönt…
lg. mo…
Liebe Mo,
schön, dass du es hierhin geschafft und mit mir ein bisschen der Musik gelauscht hast. Die Assoziation mit der Flaschenpost kam mir als ich an selbige denken musste, so konnte ich mir die Anmerkung nicht verkneifen.
Liebe Grüße und in der kommenden Woche werde ich eure Blogs verlinken, wenn es dir recht ist.
Hedda