Wem die Wellen schlagen…
04.09.2017
Auf einem Hausboot in einer verschwiegenen Marina an der Ostsee
Seit heute morgen stürmt es hier unablässig. Die Wellen schlagen gegen das Ponton, auf dem sich das #Hausboot befindet. Ich sitze hier an einem Glastisch mit Blick auf die aufgewühlte See. Die Wolken ziehen rasch über den blauen Himmel, als müssten sie sich beeilen, um rechtzeitig zu ihrer Verabredung zu kommen. Das Boot bewegt sich hin und her, nicht allzu wild, nur manchmal spüre ich einen kleinen Ruck, ein kurzes Wegkippen der Ebene, in der ich mich gerade eben noch befand.
Dieses Boot wird für eine Woche mein #Schreibort sein, ein großer rechteckiger Kasten, der an die Container erinnert, die ich aus dem Hamburger Hafen kenne. Das Heck ist voll verglast und bietet Aussicht auf das grüne Ufer der Landzunge mir gegenüber und die See unter mir. Ich sitze im Wasser ohne nass zu werden, ein seltsames Gefühl. Hier zwischen den Elementen, zwischen Wasser und Luft, habe ich endlich einen Platz gefunden, an dem ich mich frei mit meinen Worten unterhalten und mit ihnen spielen kann.
Ich frage mich, welche Autoren*innen am Meer oder sogar auf hoher See geschrieben haben und denke an einen meiner Lieblingsverlage, den #Mare Verlag und an Novellen wie „ Auflaufend Wasser“ von Astrid Dehe und Achim Engstler, die das Schicksal des Seefahrtschülers Tjark Ulrich Honken Evers beschreiben, der bei seiner weihnachtlichen Heimfahrt nach #Baltrum versehentlich bei auflaufendem Wasser auf einer Sandbank statt auf der Insel abgesetzt wurde. Seine letzten Gedanken vor dem Ertrinken hat er auf einem Stück Papier festgehalten, das er eingewickelt in ein Taschentuch in eine Zigarrenkiste gelegt hat. So haben die Insulaner später von seinem Schicksal erfahren und ihm zu Ehren ein Denkmal errichtet. Nichts ist absurder als das Leben selbst, solche Geschichten können wir uns gar nicht ausdenken, wir würden sie uns nicht glauben wollen.
Der Wind pfeift um die Ecken und trotz des schwankenden Untergrundes fühle ich mich sicher und geborgen hier. Ein Hausboot als Schreibort hat etwas von Abenteuerlust und Aufbruchstimmung. Vielleicht liegt das an dem fehlenden Fundament. Es ist zwar in diesem Falle mit dicken Seilen an Land vertäut, gibt sich aber ganz und gar dem Wellengang hin. Das macht auch das Schreiben mutiger. Unweigerlich muss ich an all die Seefahrer denken, die unsere Welt erkundet haben. Vasco da Gama, James Cook, Columbus, sie haben die Leinen gekappt, warum soll ich das im Schreiben nicht auch mal wagen. Leinen los, Wort voraus!
Diese Freiheit im Wort zu entdecken, beflügelt mich und hinterlässt ein wunderbares Gefühl der Leichtigkeit. Seit Monaten teste ich verschiedene Schreiborte, dieser gehört zu meinen absoluten Favoriten. Im Schreiben sich den Urgewalten auszusetzen, verleiht den Worten Kraft und Wandlungsfähigkeit. Hier komme ich an meines Wesens Kern, hier sprudeln innere Bilder und gleichzeitig fühle ich mich im sanften Wiegen der Wellen zurückversetzt in den Schoß von Mutter Natur. Trost, Schutz und Aufbruch treffen sich in den Weiten des Horizontes und seiner Unendlichkeit. So schließe ich kurz meine Augen und gebe mich dem aufheulenden Wind, dem Schlagen der Wellen und meinem ureigenen Schreibabenteuer hin.
4 Comments
Liebe Hedda,
jetzt habe ich auch total Lust, mal auf einem Hausboot zu schreiben.
Diese einmalige Stimmung auf dem schwankenden Boot schwappt beim Lesen in mein Zimmer – einerseits geborgen, dabei aber auch ohne Fundament und frei, auf den Wellen der Fantasie in die Ferne zu reiten.
Da wundert es nicht, dass es rund um die Seefahrt von wunderlichen Geschichten wimmelt – tragisch-komisch die historische Begebenheit des Sandbank-Gestrandeten vor Baltrum.
Ich kann mir gut vorstellen, dass du ein wogend-fließendes Schreibabenteuer erlebt hast.
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike,
vieleicht sollten wir mal nach einem Boot in Berlin Ausschau halten, auf dem wir uns zum Schreiben verabreden können? Wäre das nicht auch eine Idee für einen Schreibkurs? Schreiben in den Wellen, fernab jeder Sicherheit festen Bodens – das verheißt Abenteuer.
Liebe Grüße und ich bin dabei, falls wir diesen Plan umsetzen sollten!
Hedda
Liebe Hedda,
Du beschreibst diesen Schreibort so plastisch, dass ich sofort dorthin möchte.In diesen Quader aus Glas, Luft, Licht und Wasser. Es hat was von zwischen den Welten schweben. Nicht an Land und nicht im Wasser und aus der Zeit gefallen. Man kann sich seinem Wollen hingeben, ohne etwas zu müssen. Das findet man nicht oft und der Alltag holt einen meist sehr schnell wieder ein.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
ich hatte schon immer die Ahnung, dass ein Hausboot der perfekte Schreibort sein könnte, nun habe ich die Gewissheit, dass dem so ist. Nur leider gibt es in Deutschland so wenig von diesen Booten, aber als Urlaubsdomizile haben sie mein Herz im Sturm erorbert.
Herzlichen Dank für deinen Kommentar und dass du mich immer noch begleitest bei meiner Entdeckungsreise in Sachen Schreibort.
Liebe Grüße
Hedda