I know & I don`t care
„I know & I don´t care!“ Jedes Mal, wenn er sein spitzes Kinn mit Nachdruck ein wenig nach vorne schob, konnte sie diesen Satz in seinem Kopf lesen. Geht es uns nicht allen immer wieder genau so? Wir wissen, was wir tun sollten, aber voller Lust oder auch Verzweiflung entscheiden wir uns dennoch für das Gegenteil, dachte sie nachsichtig und lächelte ihm ausnahmsweise einmal in dieser Situation zu. Doch er sah ihr Lächeln nicht, denn er konzentrierte sich auf die Ferne.
Es war nicht nur das Kinn, das diese Haltung ausdrückte. Es war auch das Blitzen in seinen Augen und wenn Pupillen hätten donnern können, sie hätten es voller Inbrunst getan. Die Leidenschaft für den Widerspruch, die Bereitschaft für jene kompromisslose Ablehnung, das war es, was Kyybor von Geburt an auszeichnete. Als würden die beiden y, für die sich sein Vater auf dem Standesamt so eingesetzt hatte, seinem Trotz eine Extraportion Nachdruck verleihen wollen.
Kyybor drehte abrupt den Kopf zur Seite. Niemand sollte die Tränen sehen, die in ihm hochstiegen, auch er würde sie am liebsten wieder dorthin zurückschieben, woher sie gekommen waren. Ja, woher kamen Tränen eigentlich? Verdammt, er könnte doch stattdessen einfach stärker schwitzen, das bisschen Wasser mehr würde keiner bemerken, aber Tränen, wer brauchte denn schon Tränen?
Lisa ließ ihn gewähren. Wenn Kyybor den Kopf auf die rechte Seite drehte, war das für sie das ultimative Zeichen zu gehen. Sie hatte ihn verletzt, das wusste sie. Doch er versuchte wie immer gleichgültig und teilnahmslos auszusehen, was ihm diesmal jedoch nicht gelang. Nicht, wenn er den Kopf drehen musste. Denn dann hatte er etwas zu verbergen und Lisa wusste genau was.
„I know & I don´t care!“ Sie musste ihm glauben, sonst würde sie den Absprung niemals schaffen. Es ging weniger darum, dass er nicht das tun wollte, was andere von ihm erwarteten, es ging eher darum, dass Lisa seine Betroffenheit nicht spüren durfte. Nähe nicht erwünscht. Ein Hund, der seinen nackten Hals zeigt, liefert sich aus. Kyybor lieferte sich nicht aus. Niemals. Und schon gar nicht Lisa gegenüber.
Sie packte lautlos ihre Tasche mit den wenigen Habseligkeiten, strich sich liebevoll über den leicht gewölbten Bauch, ging langsam zum Ausgang und schloss die Tür leise hinter sich. Kyybors Haltung blieb unverändert. Sturkopf, dachte sie. Dabei ist er dein Sohn!
3 Kommentare
Liebe Hedda,
schon wieder so ein ungewöhnlicher Name. Wo nimmst Du sie nur immer her. Und dann solch eine offene Geschichte, die sofort Bilder in meinem Kopf zum Laufen bringt. Womit hat Lisa Kyybor verletzt?? Auf die Idee Tränen auszuschwitzen, statt sie zu heulen, können eigentlich nur Männer kommen… Das wäre eine genialer Geschichtenanfang, um sie als Blog Reihum weiter zu schreiben. Kommen Lisa und Kyybor am Ende wieder zusammen. Lernt Kyybor seine Tränen zu weinen. Sind es am Ende Zwillinge, die Lisa gebären wird. Der Phantasie sind mal wieder keine Grenzen gesetzt. Danke für diese kleine Flucht aus dem Alltag.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Hedda,
was für eine geheimnisvolle, bewegende und inspirierende Geschichte! Danke dafür.
Kyybor konzentriert sich auf die Ferne
Lisa konzentriert sich auf Nachsicht
Kyybor schwitzt keine Tränen
Lisa hat schon geweint
Kyybor wendet nicht den Kopf
Lisa wendet sich zum Abschied
Stur und stumm
Kopf steht – Kind geht
Wissen & Gleichgültigkeit
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike,
deine poetische Zusammenfassung müsste ich eigentlich unbedingt mit dem Text gemeinsam veröffentlichen. Das bringt mich eine Idee – Text/ Gedicht – Collagen zu entwickeln. Das wäre doch eine neue Blog-Herausforderung!
Liebe Grüße und Danke !
Hedda