Zug um Zug
26.02.2017, 10.46 Uhr, im Zug zwischen Berlin und der rheinischen Provinz
Wie so oft sitze ich im Zug und schreibe. Meine Gedanken schweifen ab in die Zeit der 80er Jahre, als ich als Studentin zum Zugfahren verdammt war. Damals hatte ich nicht wie heute die Wahl, damals gab es auch noch nicht den Komfort von Tischen und Steckdosen in der Bahn. Damals saß ich in einem stickigen 6 Mann- Abteil und an Schreiben war in der Enge nicht zu denken.
Der Zug ruckelt und schaukelt, die schwankenden Bewegungen bringen mich immer wieder aus dem Schreibfluss heraus. Irgendwo ertönt eine Durchsage. Ich höre nur etwas von Interlaken und „wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise.“ Auf die englische Ansage mit dem so beliebten deutschen Akzent verzichtet die Bahn diesmal. Aufatmen.
Mein Blick fällt auf den vorbeiziehenden Himmel. Die Bewegung der Wolken fasziniert mich immer wieder und mir fällt das surreal anmutende Schauspiel in der Abenddämmerung auf der Herfahrt ein. Als hätte sich ein Bild von Magritte am Horizont verloren. Kunst am Firmament.
„Jemand noch zu gestiegen? Ihren Fahrschein, bitte!“ Die nächste Unterbrechung. Immer wieder gibt es Ablenkungen an diesem fahrenden Schreibort, dennoch genieße ich Sicherheit und Klarheit bezüglich meines Aufenthaltortes in den nächsten viereinviertel Stunden. Aus einem Zug gibt es kein Entrinnen, zumindest dann nicht, wenn ich mein Ziel möglichst schnell erreichen möchte. Ich genieße es, mich nicht auf verstopften Autobahnen stauen zu müssen, sondern geschuckelt zu werden wie ein Säugling in seiner Wiege. Dieser Schreibort hat etwas Regressives, das tut in einem Alltag voller Verantwortung gut und entlastet.
Ein schreiendes Kind rennt gerade vorbei, es schreit vor Vergnügen und nicht aus Wut. Ich bemerke Lachen in einigen Reihen, andere wiederum quittieren diese Lebensfreude schmallippig mit einem Augenrollen. Geschrei ist nicht jedermanns Sache, denke ich, Lebendigkeit auch nicht.
Irgendwo knistert jemand mit Alufolie, die ersten selbst geschmierten Schrippen werden ausgepackt. Der Duft von Schmierwurst weht mir um die Nase, ich versuche ihn zu ignorieren und mich auf meinen Text zu konzentrieren. Schmierwurst ist eben auch nicht jedermanns Sache, das Teilen von Gerüchen und Geräuschen gehört aber nolens volens zu einer Zugfahrt dazu. Auch hier gibt es kein Entrinnen!
Wieder wende ich den Blick nach draußen. Das gleichmäßige Vorbeiziehen der Landschaft hat etwas Beruhigendes für mich, im Zug zu sitzen und zu schreiben entspannt mich. Ich lasse meine Gedanken mit der Landschaft fliegen und muss unweigerlich an den Zug der Kraniche im ausgehenden Winter denken. Freiheit und Klarheit, vielleicht sind das die beiden Attribute, die den Zug als Schreibort für mich so attraktiv machen. Still sein zu können in der Bewegung, fast unmerklich mich an den Ort meiner Träume bringen zu lassen und dabei meinen inneren Bildern Raum zu schenken, das hat seinen ganz eigenen Zauber.
4 Kommentare
Liebe Ulrike,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich wirklich riesig über jeden, der hierhin findet…
Nie hätte ich gedacht, dass der Ort, wo wir schreiben, so eine große Rolle spielt. Jetzt verstehe ich Thomas Mann, dass ihm der Platz seines Schreibtisches stets so wichtig war.
Liebe Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
was für eine stimmungsvolle Beschreibung – ich konnte die Schmierwurst fast riechen. Ich fahre auch oft mit der Bahn und mag auch dieses Gefühl von Verantwortung abgeben und sich wie ein Kleinkind schaukeln zu lassen. Gleichzeitig gibt es auch manchmal das Gefühl von nicht entrinnen können (hin und wieder gibt es halt doch nervige Mitreisende), aber der Zug ist ja groß genug, dass man auch mal den Platz wechseln kann.
Dieses Gefühl von Freiheit (seinen Gedanken nachhängen zu können) und eine „Auszeit“ nehmen, gerade oder obwohl man ja physisch in der Fortbewegung ist, verbinde ich auch mit einer Zugfahrt. Und das ist dann wirklich ein guter Ort zum Schreiben.
Bin gespannt, wo du mich als nächstes hinführst.
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Hedda,
die Gelegenheit, dass ich es mal geschafft habe, mich zum Kommentieren durchzumanövrieren, nutze ich es nun auch aus und sage auch noch was zum Schreiben im Zug. Für mich ist es dort sehr schwierig bei mir zu bleiben und mich nicht von den Mitreisenden – seien sie nun turtelnde Liebespaare, arbeitswütige Digitalmenschen oder verunsicherte Senioren allein auf Reisen – ablenken zu lassen. Und wenn dann noch die wunderbare englische Durchsage „Senk ju vor trevelling wis se Deutsche Bahn“ kommt, dann ist eh alles zu spät. Deshalb mein Respekt, dass Du diesen Ort für Dich zum Schreiben so gut nutzen kannst. Ich finde dieses „Still sein können in der Bewegung“ sehr faszinierend. Ich bin gespannt auf Deine weiteren Orte und hoffe, dass ich dann auch wieder Zugang zu diesem System finde.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
ja, wie toll, dass du dich bis hierhin durch den PC Dschungel gewühlt hast. Deine Beobachtung, dass die Mitreisenden zur Ablenkung verführen können, teile ich natürlich auch, aber, wenn ich um eine feste Zugfahrt von mehreren Stunden weiß, befähigt mich genau dieses Wissen, nicht entweichen zu können, kreativ zu schreiben. Zu Hause hätte ich mir in der Zeit wahrscheinlich längst Nudeln gekocht oder Unkraut gejätet oder was auch immer getan, um der Zerstreuung zu fröhnen.
Vielen Dank für den Kommentar und große Freude darüber, dass wir jetzt auch virtuell verbunden zu sein scheinen…
alles Liebe
Hedda