Blues, Barträume und eine grüne Tür
01.05.2017, Kurz nach Mitternacht im Green Door in Berlin
Blues Musik ertönt aus den Lautsprechern, die Luft ist rauchgeschwängert, das Licht gedämpft. Ich sitze in einer der zahlreichen Bars Berlins, dem #Green Door, einer Bar aus dem vorherigen Jahrhundert (22 Jahre ist sie alt) und avanciere in der Walpurgisnacht zur #Nachtschreiberin. Auf dem Tresen sitzt ein beleuchteter Hund, die Barkeeper dahinter leuchten hektisch mit der Taschenlampe eines Handys unter sich. Irgendetwas scheint zu Boden gegangen sein.
Mein Blick fällt auf mindestens 7 m mehr oder minder gefüllte Flaschen unterschiedlichsten Inhaltes. Hinter mir laute Stimmen, das Gelächter klingt schriller als bei Tage, der Alkohol zeigt seine Wirkung. Der Raum ist in die Länge gezogen und schmal, eine Seite wird von einer wellenförmig geschwungenen Wand gebildet, auf der anderen Seite befindet sich der Tresen mit den Holzbarhockern. Neben mir ist ein junges Pärchen in ein angeregtes Gespräch vertieft, mein rosa #Schreibheft liegt auf meinen Beinen, auf dem Tresen ist kein Platz mehr dafür.
Inzwischen wurde der Blues von spanischen Klängen abgelöst. Melancholie trifft Leichtigkeit – das scheint das Motto der Musikauswahl zu sein, die zur Walpurgisnacht perfekt passt. Ich nippe an meiner Pina Colada und versuche die unterschiedlichen Geräusche der Bar herauszufiltern, Gläserklirren, Stimmengewirr, klapperndes Aufeinanderstapeln von Aschenbechern und immer wieder die Stille der Nacht, die unterschwellig mitschwingt.
Einer der Bartender hat seine Haare zu einem Dutt zusammengebunden, Haare in Cocktails kommen sicher nicht gut bei Gästen an oder folgt er nur einer der zahlreichen Hygienevorschriften? Etwas entfernt von mir sitzt ein junger Mann mit Vollbart und hohen Geheimratsecken und tippt in sein Handy. Manchmal legt er den Kopf etwas schräg, als wolle er Kontakt mit den Barmännern aufnehmen, doch diese sind beschäftigt mit Kassieren oder Cocktails mixen. Sprachlosigkeit gibt es auch in Bars, der Alkohol ist kein Garant für eine gelungene Kommunikation.
„Schmeckt es Ihnen?“ Soviel Aufmerksamkeit hätte ich von dem Mann mit dem Dutt gar nicht erwartet. Auch in der Nacht bleibt Zeit für ein Lächeln, das beruhigt mich. Ich lächle zurück. Der Hund sitzt unverdrossen an derselben Stelle, sein Kopf ist deckenwärts gerichtet – es handelt sich um eine Lampe der besonderen Art. Manche Dinge verlieren nie ihren Platz, das beruhigt mich auch. Der Hund und ich, wir kennen uns schon länger.
Der Blues ist zurück und ich muss an meine Flaschenpost denken und überlege, wo sie wohl schwimmen mag, vielleicht hängt sie fest im Duisburger Hafen? Noch habe ich keine Antwort erhalten, aber ich lasse ihr Zeit, das hatte ich ja versprochen.
Der vollbärtige Herr mit dem etwas rundlichen Gesicht gibt seiner Nachbarin Feuer, sie wartet auf ihre Begleitung, mehr ist nicht drin an Begegnung in dieser Nacht zum ersten Mai.
Ob eine Bar ein gelungener Schreibort ist? Keine Frage! Die Blues Noten treiben mich in meine Erinnerungen, das heißt eigentlich ziehen sie mich dorthin in ihrem typisch schleppenden Rhythmus, hin zu den blauen Momenten meines Lebens. Da kommt es mir sehr gelegen, dass der Barkeeper mit dem Shaker neben seinem Ohr Lebenslust in einen Cocktail mixt. Das hat etwas von Rumba-Rasseln und Karibik-Feeling. Lebenslust hinter einer unscheinbaren grünen Tür, verborgen, das sind sie, die Geheimnisse der Dunkelheit.
Die Nacht eignet sich zum Schreiben! Wenn es keine Schatten gibt, kommen die Gedanken daran hoch. Ich kann meinen Stift kaum bremsen, hier sitzt Stoff für mindestens eine Kurzgeschichte und ich bin ganz bei Hemingway und all den anderen Schriftstellern, die Bars so liebten und lieben.
Kronkorken fliegen in hohem Bogen in den Müll, in einer Cocktailbar treffen sich Geschwindigkeit und Besinnung zugleich, es ist, als seien Zeitgrenzen kurzfristig aufgehoben in dieser anderen Welt jenseits der grünen Tür, jenseits des Alltags.
Eben erst entdecke ich die braven Vorhänge an den Fenstern zur Straße. Wie bei Muttern. Gemütlichkeit trifft psychodelische Muster, die sich an der Wand hinter der Bar entlang schlängeln. Der Barmann mit dem Dutt macht eine Pause – mich hingegen dürstet nach mehr.
15 Kommentare
So, liebe Hedda, ich habe die Cocktailhour extra weit nach hinten geschoben und ein neues Passwort generiert um Dich hier auf einen Drink mit dem Barman mit Dutt treffen zu können, den Du wie auch die Bar sehr plastisch beschreibst. Am nächsten Tag hattest Du hoffentlich nicht den Blues? „Sprachlosigkeit gibt es auch in Bars“. Was für ein zur Musik passender, melancholischer Satz. Da sehe ich ein Bild von Hopper, US-Filmszenen, Naked Lunch.
Danke für den Drink, herzlich, Urs
Liebe Hedda,
beim Lesen habe ich das Gefühl, mit dir durch die grüne Tür in die schummrige Welt eingetreten zu sein. Es scheint mir eine Welt von Gegensätzen zu sein – Gläserklirren, Stimmengewirr, Musik, Handyflash einerseits, aber dann auch Für-sich-sein und Melancholie andererseits. Menschen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen treffen hier aufeinander. Ich kann dich gut vor mir sehen, zwischen den fliegenden Kronkorken mit deinem rosa Schreibheft auf den Knien und im Zwiegespräch mit der Hundelampe und Hemingway – und natürlich mit dem aufmerksamen Barmann mit Dutt. Was da wohl noch für Geschichten draus entstehen?
Ich fühle mich nun ermutigt, auch mal das Nachtleben schreibend zu erkunden.
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike,
ich glaube tatsächlich, dass ich mir irgendwann mal ein bisschen Zeit nehmen sollte, damit wir Schreiborte gemeinsam entdecken könnten – das habe ich an anderer Stelle auch schon mal geschrieben und wenn Worte sich so in den Vordergrund drängen, scheint etwas Wahres dran zu sein.
Liebe Grüße
Hedda
Liebste Hedda,
nun schaffe ich es endlich, meine Freude an Deinem Blog und – wie bereits mündlich gesagt – seinen zahlreichen spannenden Bezügen zu Kunst und Literatur in Kommentarform auszudrücken! Dein grosses Wissen in (u.a.) diesen Bereichen und Deine Belesenheit beeindrucken mich sehr.
Das muss ich auch mal ausprobieren, in einer Bar eine Piña Colada schlürfend zu schreiben, das ist nämlich neben Chocolate Sour mein Lieblingsdrink! Falls Eure Runde nicht nur exklusiv für ganz fleissige Bloggerinnen offen ist, wäre ich also auch sehr gerne dabei! Vielleicht noch mit Tanzengehen kombiniert (dazu hat mich auch Amy inspiriert) ;-)?
Herzlich und bis bald, Ella
Liebe Eliane,
herzlich gerne …. dann kann ich einen chocolate sour probieren, den kenne ich nämlich nicht.
Vielen Dank für dein Hineinspüren.
Liebe Grüße
Hedda
Liebe Fe,
also ich kann nur berichten, dass mein Stift im Green Door gar nicht mehr aufhören wollte zu schreiben. Ich war selber erstaunt darüber!
Ja , vielleicht gehen wir das nächste Mal mal zusammen weg – auf der Suche nach neuen Schreiborte, das würde mir gut gefallen.
Liebe Grüße und danke für deine Rückmeldung.
Hedda
Wow! Was für ein Grün!
Liebe Hedda, es ist ganz erstaunlich für mich zu sehen, an welchen Orten du schreiben und dir Inspiration holen kannst.
Mir würde es wohl eher wie Anne gehen.
Die einzige Kneipe, über die ich tatsächlich mal vor 15 Jahren einen Text geschrieben habe, war das legendäre Kumpelnest 3000 in Berlin-Tiergarten (habe gerade nachgeguckt; das gibt´s immer noch), wo die meisten aber eher weit nach Mitternacht landen. Und Notizen hätte ich mir während meiner Besuche dort bestimmt nicht machen können. Aber ich erinnere mich daran, wie meine Erlebnisse und Beobachtungen nach meinen Aufenthalten dort unbedingt aufs Papier wollten.
Wie mag sich das in der Bloggerinnenrunde wohl weiter entwickeln: Amy deutet da sowas an und die Runde für den nächsten Barbesuch scheint stetig zu wachsen — ich freue mich auf viele weitere Einsichten zum Thema Alkohol und Bars 🙂
Fe.
Liebe Hedda,
was für eine dichte, grüne und so inspirierende Atmosphäre; war mit dir dort, habe neben dir und dem „leuchtenden“ Hund gesessen und dir beim Schreiben zugesehen …
„Die Grüne Tür
führt mit und ohne Flaschenpost
direkt zu den blauen Momenten
deines Lebens …“
Ja, danke, kommt auf die Liste, die Bar,
danke dafür,
Sabine
P.S.: Ich mache mich jetzt auch auf die Suche nach dem Mondtrinker …:-)
Liebe Sabine,
ich weiß genau, wie das Buch aussieht und dass ich es habe , nur finden kann ich es nicht, aber es wird zu mir kommen – irgendwann.
Danke für deinen Kommentar, gerne gehe ich das nächste Mal mit dir dort hin !
Liebe Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
Bars und Cocktails sind gerade sehr angesagt in unserer Bloggerrunde:) Kann ich gut verstehen, denn Alkohol und Schriftstellerei gehören auch bei mir gedanklich eng zusammen. Dazu die Drinks, die Geschichten von allen Kontinenten erzählen, auch ich habe eine Idee dazu im Block. Muss aber noch reifen wie ein guter Whisky. Und deine? Komm gut durch die Nacht, lG, Amy
Liebe Miss Novice,
da muss ich mich mal auf die Suche nach den anderen Beiträgen zum Thema Bar und Cocktails machen, das war mir noch gar nicht aufgefallen.
Die Bar ist als Schreibort gar nicht mal wegen des Alkohols so attraktiv, sondern wegen dieser merkwürdigen Art der Zeitlosigkeit. Es ist als hätten die Minuten in einer Bar eine andere Taktung, als befände ich mich in einem Dazwischen zwischen Alltag und Traum. Das mag natürlich auch an der Uhrzeit liegen, zu der man gewöhnlicherweise Bars aufsucht.
Vielen Dank für deinen Kommentar und liebe Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
Mutters Gardinen , ein Lampenhund, Mann mit Dutt, aufgestapelte Aschenbecher und dann nur eine Pina Colada. Das bei 7m Flaschenauswahl. Oder hast Du dann doch mal den Stift beiseite gelegt und tiefer ins Glas geschaut? Ich glaube in einer Bar wäre ich zu abgelenkt, um noch schreiben zu können. Ich habe da auch noch das Problem, dass ich erst mal den Alkohol in den Cocktails nicht merke, weil die so süß sind. Und wenn ich ihn dann merke, dann kann ich eh nicht mehr schreiben.
Wie immer ein sehr stimmungsvoller Beitrag.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
mein Stift war außer sich vor Freude in der Bar. Ich habe mich hingesetzt und sofort losgeschrieben und war nicht mehr zu Bremsen. Die Barkeeper haben schon ganz komisch geguckt. In einer Bar kann ich wunderbare Studien betreiben, die Atmosphäre ist Phantasie anregend und macht nicht nur die Nacht geheimnisvoll.
Vielen Dank, dass du mich an meine diversen Orte immer begleitest!
Liebe Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
wieder einmal wunderbar anschaulich geschrieben. Du nimmst mich mit hinter die grüne Tür zu „blauen Momenten“ und ich denke an eines meiner absoluten Lieblingsbücher „Der Mondtrinker“ von Göran Tunström: „Hier konnte man ein Stündchen verplaudern. […] Denn in dem elenden Klima, das Gott in seiner Gnade über Island hat ruhen lassen, erschuf er, gleichsam als Ausgleich für unser Leiden, einige Stunden, die man »Plauderstunden« nennt. Sie beginnen, wenn es in allen Zimmern blau ist.“
Vielen Dank und liebe Grüße
mo…
Liebe Mo,
und jetzt suche ich die ganze Zeit schon das Buch “ Der Mondtrinker“ , weil ich es endlich einmal lesen möchte. So befruchten sich unsere Worte gegenseitig – was ein Geschenk!
Alles Liebe
Hedda