Zwei Einsamkeiten
Das Finale: Wir vom BKS 11- Jahrgang an der ASH in Berlin schließen unser Blog-Projekt mit einer gemeinsamen #Blogparade zu dem Thema “ #Digitale Einsamkeit“ ab. Jede*r der Teilnehmer*innen schreibt einen Text zu diesem Thema und baut die Worte der oben stehenden Wortwolke ein. Wir verlinken uns alle mit der Startseite von #Miss Novice, auf der Christiane aufgeschaltet ist. Dort können die Leser*innen alle unsere Beiträge lesen und der Parade folgen. Ich bin sehr gespannt, was interaktiv dadurch geschieht. Die Blogparade endet am 11.6.2017 und hier könnt ihr die Beiträge der Parade lesen:
Zwischengang mit Abgesang – Elisabeth zu zweit im Netz
Digitale Einsamkeit – gestrandet zwischen 0&1
Er saß in seinem Zimmer im Keller. Immer. Zählte die Anzahl seiner #Follower, verfiel mehr und mehr dem Buchstaben – und Bildersog. Seine Welt fand vor dem angeschalteten Monitor statt, einen #schwarzen Bildschirm konnte er nicht ertragen. Dann bekam er sofort das Gefühl, als habe ihn die Welt ausgesaugt, als sei sein Leben in das schwarze Loch des PC`s gefallen – unwiederbringlich – verloren.
Wenn er im Erdgeschoss auftauchte, dann nur, um die Kühlschranktür kurz zu öffnen und wieder zu schließen. Ein leises Schmatzen, kaum hörbar, signalisierte den Mitbewohnern, dass er nicht zur bloßen Schattengestalt mutiert, sondern noch ein menschliches Geschöpf war. Mehr an Kontakt war nicht drin. Mehr an Kontakt war nicht erwünscht. Dafür war das Netz zuständig.
Es war, als hätte er den #Escape-button gedrückt. Escape life, willkommen in der digitalen Einsamkeit, die er nicht spüren konnte. Die Lebendigkeit der Bilder auf dem Schirm, das Zucken der Figuren suggerierten ihm, du bist ein Teil von uns. Manchmal jedoch, wenn er nachts auf der durchgeschwitzten Matratze nicht mehr aus seiner schwarzen Wolke fand, wenn ihm der Zugang zu Gefühlen verschlossen blieb und einer dumpfen Leere den Vortritt ließ, ahnte er, dass ihm etwas fehlte. Dann sprang er schnell auf, drückte auf „on“ und betäubte sich erneut. Leben auf Knopfdruck – das war seine Methode, um dem Schmerz zu entkommen. Um Kontrolle zu behalten. Um der Ohnmacht zu entrinnen.
Im Hintergrund lief ein #update, das die Figuren noch realistischer und lebendiger aussehen lassen sollte. Er, der Namenlose, versteckt hinter Pseudonymen, nutzte die Zeit, um kurz auf die Toilette zu gehen. Die Plastikflasche unter dem Schreibtisch war voll, dort hinein konnte er sich unmöglich noch einmal entleeren. Den Mann, den er im Spiegel über dem maroden Porzellanbecken sah, erkannte er nicht. Er erschrak, rannte schnell wieder zum Bildschirm, um sich seines Lebens zu vergewissern, atmete erleichtert und doch stöhnend auf.
Sie träumte schon lange von einem date, davon jemanden zu treffen, der sie endlich einmal verstehen würde. Irgendjemand hatte ihr eine Seite im Netz genannt, dort sollte sie es versuchen. Voller Vertrauen gab sie sich ihren Buchstaben hin und erzählte dem Bildschirm, was nur er hören wollte. Erlaubt ist, was gefällt, dachte sie und wuchs angesichts ihrer Beschreibung über sich selbst hinaus. Doch irgendetwas musste beim Abschicken der Nachricht schiefgelaufen sein. Jedenfalls fanden sich ihre Worte auf einmal auf Seiten wieder, die sie gar nicht angesteuert hatte und es geschah, was sie niemals für möglich gehalten hätte – ein #shitstorm besonders schweren Ausmaßes brach über sie herein, mit verheerenden Folgen. Ab dem Moment saß sie reglos auf ihrem Stuhl, erstarrt vor Schreck, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Das Leben schien vorbei, der Sturm hatte es ausgelöscht. Ein digitaler Blitz hatte eingeschlagen und ihren Herzschlag entkoppelt. Schluss mit Schreibfreude und #Schreibfreiheit, Schluss mit dem Gefühl, mit der Welt verbunden sein, willkommen in der virtuellen Brutalität.
Drei Monate später. Sie saßen sich gegenüber – in der U1 Richtung Prinzenstraße. Auf den verschlissenen Bänken der Bahn. Die Augen gesenkt, die Hände mit den Tasten beschäftigt. Als ein Mann in zerrissenen Jeans und ausgetretenen Schuhen ohne Schnürsenkel seine Flöte auspackte und das Lied von Mozarts Vogelfänger zu spielen begann, hob sie kurz den Kopf. Für eine Sekunde streiften sich ihre Blicke, zufällig – zwei digitale Einsamkeiten auf dem Weg zu irgendeinem Traum.
14 Kommentare
Liebe Hedda,
sehr fesselt und spürbar erzählst Du die nachdenklich stimmende Geschichte der beiden Figuren. Mich berührt dieser Gedanke, der deiner Geschichte innewohnt und den Urs so herzerweichend auf den Punkt bringt: „Ich frage mich oft auch, wieviele Menschen an uns vorbeigehen, denen wir begegnen könnten?“
Gibt es Hoffnung? Ich weiß es nicht. Immerhin, sie heben ihren Blick, sie sind noch erreichbar über die Musik. Es gibt also doch noch Berührungspunkte und dennoch, sie folgen einem Traum… Das lässt alles offen.
lg. mo…
Liebe Mo,
das offene Ende hatte ich wie gesagt beabsichtigt. Ich frage mich auch immer, gerade in Bus und Bahn, wie viele Menschen ich wohl streife, ohne ihnen wirklich zu begegnen…
Vielen Dank für deine Worte und ich hoffe, auch du machst weiter mit deinem Blog.
Alles Liebe
Hedda
Liebe Hedda,
die zwei namenlosen Einsamkeiten sind für mich lebendig geworden.
Er lässt das #update lieber über seine Spielfiguren laufen, als über sich selbst.
Sie kann sich auch im Netz nicht verstecken vor der Brutalität der Welt.
Mir geht es beim Lesen auch so wie Mia, dass ich die Figuren am liebsten schütteln und aufwecken möchte von diesem Schlafwandeln im eigenen Leben.
Aber als noch schlimmer empfinde ich diesen Isolationszustand, das „Unverbundensein“, wenn Menschen physisch aufeinander treffen, und sich trotzdem nicht wahrnehmen.
Da ist der Mann in zerrissenen Jeans und ausgetretenen Schuhen ohne Schnürsenkel mit seiner Flöte der Hoffnungsträger der Geschichte – denn mit der Musik von Mozart bringt er Lebendigkeit und die Chance auf Verbindung.
Die Zauberflöte hat sich dann ja auch in meinen Text hineingespielt. 🙂
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike,
ich habe mich sehr gefreut, als Papagena bei dir auftauchte und eine Verbindung zwischen den beiden Texten schuf. Findest du nicht auch, dass im kurzen Streifen der Blicke eben zum Ausdruck kommt, dass die Protagonisten eigentlich in einer ganz anderen Welt zu Hause sind – wenn man in dem Zusammenhang überhaupt von zu Hause sprechen kann.
Vielen Dank für deine Rückmeldung, ich wünsche mir sehr, dass unsere Blogs weitergehen und wir noch nicht am Ende unserer Erzählungen sind.
Liebe Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
nach fünf eher computerfernen Tagen, lese ich endlich eure Einsamkeiten. Nach deiner Geschichte fühle ich mich einfach nur verloren, die Hoffnung des letzten Absatzes, die Möglichkeit einer Begegnung, dringt nicht zu mir durch. Ich weiß aber endlich, welche Geschichte ich in der Parade erzählen werde. Schlagartig ist mir alles klar. Herzlichen Dank für den Impuls, sagt: Amy
Liebe Miss Novice,
deine Wahrnehmung berührt mich, zumal ich beim Schreiben zum Schluss auch eher diese Hoffnungslosigkeit empfunden habe. Ich habe das Ende bewusst offen gelassen, es bleibt unklar, wessen Blicke sich streifen und das Einzige, was hoffnungsfroh anmutet ist die Tatsache, dass eine Komposition aus dem Jahre 1791 einer digital Vereinsamten einen Blick entlocken kann.
Ich habe übrigens gedacht, dass the loneliness of a twitter-user dein Beitrag zur Blogparade ist, dann kommt ja noch einer, ich freue mich drauf.
Beste Grüße
Hedda
Liebe Hedda,
das macht doch irgendwie Hoffnung, wenn zwei hoffnungslos im virtuellen Netz Gefangene sich im 21. Jahrhundert von einer Melodie berühren lassen, die vor mehr als zweihundert Jahren in einer so ganz anderen Welt komponiert wurde. Mir gefällt an Deiner Geschichte das so offensichtlich aneinander vorbeilaufende Treffen der beiden Protagonisten in der realen Welt. Bei Deinen Beschreibungen dieser beiden Lebensbilder hat es mich echt ein wenig gegruselt, so lebensecht (ist das überhaupt das richtige Wort in diesem Zusammenhang?) kamen sie rüber.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
die Idee mit dem Vogelfänger kam mir wie immer im Schreiben. Ich kann mir so etwas nie vorher ausdenken, dadurch dass ich mich in die Situationen gedanklich hineinbegebe, entwickelt sich so etwas und mit etwas Abstand staune ich oft, wie sich ein solches Detail auf den Gesamttext auswirkt.
Vielen Dank also für deine Rückmeldung, ich kann es nicht oft genug betonen, wie wichtig mir ein Feedback ist, um mein Schreiben besser verstehen zu lernen.
Viele Grüße
Hedda
Liebe Sabine,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Ich habe mir daraufhin auch noch mal den Text vom Vogelfänger durchgelesen, ich hatte mich bei der Wahl tatsächlich nur von der Musik leiten lassen – es ist doch immer wieder interessant, was unser Unbewusstes für uns bereit hält, wenn wir näher hinschauen. Deswegen schätze ich Feedback so sehr, weil es immer den Blick für den Verfasser weitet.
Liebe Grüße und ich freue mich auf weitere Geschichten zu dem Thema ….
Hedda
Liebe Hedda,
ich kommen gerade lesend von Urs‘ Blog herüber zu deinem Blog und zu deiner Geschichte und verstehe jetzt, was er meint, wenn er schreibt: „…aber ich finde, unsere Beiträge schwingen auch so gut miteinander.“ Ja, sie verbinden sich in ihrer Unterschiedlich doch im Thema und ihrer jeweiligen Tiefe.
Ich sehe deine beiden Hauptpersonen vor mir und ich sehe deine zwei Einsamkeiten vor mir, ganz nah bringst du sie mir und ich möchte sie schütteln und wecken und lassen und nicht lassen und wünsche mir den Moment nach dem Moment herbei, wenn sich nicht nur ihre Blicke, sondern vielleicht sogar ihre Leben streifen… In einer gemeinsamem Melodie, einem gemeinsamem Traum. Schön, den Text noch einmal mit dem Vogelfänger zu lesen, verändert den Text, trägt Hoffnung in die letzten Zeilen …
In meinem Kopf sind viele Jugendliche vorbeigezogen, mit denen ich in in den letzten Jahren gerabeitet habe, die so oder so ähnlich „getickt“ haben … Für einige wenige war schreiben wirklich ein gutes Ventil.
Liebe Hedda, danke für diese besondere Geschichte,
Mia
Liebe Hedda
Ich frage mich oft auch, wieviele Menschen an uns vorbeigehen, denen wir begegnen könnten? Die Schlussszene liess mich an den argentinischen Film Medianeras denken http://www.imdb.com/title/tt1235841/
Ein extremer Gamer spielt auch eine Rolle im lesenswerten Buch „The Nix“ http://www.goodreads.com/book/show/28251002-the-nix
Liebe Grüße, Urs
Lieber Urs,
vielen Dank für deine Tips – das Buch the Nix klingt spannend und der film ebenfalls. Das erlebe ich übrigens als sehr inspirierend- dass wir uns durch das Lesen und Kommentieren unserer Blogs noch einmal ganz anders, nämlich über den Austausch über andere Künste, nahe kommen.
In der Tat stelle ich mir oft vor, welche Geschichte sich wohl hinter welchem Gesicht verbirgt, dass tagsüber an mir voüberzieht…
Liebe Grüße
Hedda
Danke für den guten Filmtipp, Urs!
Steht jetzt mit hoher Priorität auf meiner online-Leihliste. 🙂
„Ich frage mich oft auch, wieviele Menschen an uns vorbeigehen, denen wir begegnen könnten?“
Urs, wo soll ich nur mit den ganzen Gänsehäuten hin? Dieser Satz berührt mich zutiefst!
lg. mo…