Halleluja!
Halleluja! Geschafft! Endlich! Peter lehnte sich mit seiner grünen verschlissenen Jacke aus billigem Lederimitat und Schulterpolstern gegen das rote Backsteingebäude und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Was hatte seine Mutter während dieser Zeit getobt und Gift und Galle gespuckt: „Du schaffst das nie – niemals! Was soll nur aus dir werden? Willst du etwa so enden wie dein Vater, der von der Hand in den Mund lebt und nichts auf die Reihe bekommt?“
In ihr wütendes Gezeter mischte sich ein leiser Unterton von Trauer, Trauer und Sorge vor einer ungewissen Zukunft und obwohl Peter genau diesen feinen Unterton vernehmen konnte, hinderte er ihn nicht daran, weiterhin konsequent die Bücher zu meiden und lieber bei seinen Freunden abzuhängen. Dann würde eben nichts aus ihm werden, wenigstens tat das Nichts das, was es in diesem Augenblick wollte, das war doch ein Anfang. Seine Mutter tat nie, was sie wollte, jedenfalls hatte er es nicht bemerkt und wenn ihm eins in den letzten beiden Jahren klargeworden war, dann das: „Ich will niemals werden wie meine Mutter! Niemals!“
Und jetzt das! Er hatte es geschafft, allen Unkenrufen zum Trotz. Wie, das konnte er auch nicht genau sagen, es müssen höhere Mächte mit im Spiel gewesen sein. So wenig wie er gelernt hatte, so häufig, wie er am helllichten Tage seine Lieblingskneipe “ Joe´s Winkel“ aufsuchte, so beschäftigt wie er dort mit seinen Freunden beim Darts-Spiel und anderen Dingen war, war das anders nicht möglich.
Er öffnete seine Augen und blickte in die hell erleuchtete Wohnung im dritten Stock des siebziger Jahre- Hauses gegenüber. Dort wohnte sein ehemaliger Freund Bernd gemeinsam mit seinem Hamster Larry, den beiden Wellensittichen Grace Kelly und Marilyn sowie seiner ältesten Schwester Bernadette. Die beiden hatten sich nach dem Tod ihrer Eltern, die bei einem Flugzeugabsturz über den Viktoria-Fällen ums Leben gekommen waren, zusammengetan und gegenseitig im Leben unterstützt, obwohl Peter eher der Meinung war, dass sie sich gegenseitig ins Unglück trieben, aber das sahen die beiden anders. Bernd tauchte immer mehr in die Geheimnisse der fleischfressenden Pflanzen ein – Drosera hieß seine heimliche Geliebte – und überließ Bernadette ihrem andauernden, nicht zu stoppenden Redefluss, an dessen Geräuschkulisse er sich längst gewohnt hatte. Jede Nachfrage seinerseits wäre ohnehin zwecklos gewesen, sie war einfach nicht zu bremsen, in dem, was sie zu sagen hatte.
Als Bernd nach einer gefühlten Ewigkeit auf dem Balkon im dritten Stock erschien und Peter verstohlen ein Zeichen gab, schrie Peter quer über die Straße: „Er hat´s geschafft! Halleluja! Mein Enkel Torge hat als allererster und einziger in unserer Familie das Abitur geschafft! Ich kann es nicht fassen!!“ Doch der Feierabendverkehr verschluckte seine Sätze und Bernd drehte sich wortlos um und ging zurück in seine Wohnung. So wie damals, als er trotz Vollmond unerklärlicherweise vom Weg abkam…
3 Kommentare
Liebe Hedda,
diese Geschichte lebt sehr von einer Verschiebung von Erzählperspektiven. Lange habe ich gedacht, es ist Peter, der es endlich geschafft hat, dann war ich emotional mit Bernd und Bernadette unterwegs, um dann irgendwann die Kurve mit Torge zu kriegen. Das ist sehr gelungen. Berührt hat mich die Feststellung von Peter, dass seine Mutter nie das tat, was sie wollte. Am Leben vorbeigelebt, das ist bitter.
Danke auch für diese Geschichte.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Hedda,
mit wenigen Worten ein ganzes Leben erzählt; das kannst du poetisch, leicht und tiefgründig …
Genieße jedes Wort,
liebe Grüße,
Mia
Liebe Mia,
nachdem ich entdeckt habe, dass die Welt um uns herum aus lauter Worten und Satzanfängen besteht, macht es mir viel Spaß, diese aufzugreifen und weiterzuspinnen. Und ich hoffe, dass ich meine Leser*innen dazu animieren kann, es mir gleich zu tun…
Vielen Dank für dein Kompliment und als Variante ist auch ein auf das gefundene Wort zuschreiben sicher sehr interessant.
Liebe Grüße
Hedda
P.S: Ich habe das Ende nochmal geändert … das kennst du doch sicher auch, das Gefühl, irgendetwas stimmt am ersten oder letzten Satz nicht …