Mia´s Blog- Adventskalender Türchen zwölf
Guten Morgen, liebe Leser*innen,
das zwölfte Türchen von Mia´s Adventskalender öffnet sich heute und ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen… Wie immer sind die zurückliegenden Beiträge kursiv geschrieben und der Aktuelle in gerader Schrift.
Morgen öffnet Renate das Türchen Nummer dreizehn. Ich freue mich schon darauf und staune ob der diversen Wendungen in der Geschichte. . .
Sie lag auf dem Rücken im warmen Wasser des Außenbeckens im Solebad. Sie spürte das Wasser, das sie trug und blickte entspannt in den Nachthimmel. Der Mond erzählte ihr die Geschichte des Tages. Seine Sicht war eine völlig andere als ihre. Seine Geschichte gefiel ihr besser und als er geendet hatte, sah sie, wie etwas vom Mond herunter direkt neben ihr ins Wasser plumpste.
Es glitzerte wunderschön und ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus, um es zu erhaschen. Aber sie war zu langsam, hatte wohl doch einen Moment gezögert. Das Ding rutschte zwischen ihren Fingern hindurch und sank auf den Boden des gekachelten Schwimmbades. Da lag es nun. Ein schwaches Leuchten drang zu ihr herauf. Wie sollte sie an das Ding herankommen. Wenn sie eines hasste, dann war es das Untertauchen. Schon allein die Vorstellung, mit dem Gesicht unter Wasser zu müssen, jagte ihr trotz der Wärme des Solewassers eine Gänsehaut über den Rücken.
An Entspannung war nun nicht mehr zu denken. Wie sollte sie an das matt leuchtende Etwas herankommen, dass zu packen sie um Haaresbreite verfehlt hatte? Sie schaute sich suchend um, als gäbe es irgendwo im Außen eine Lösung zu entdecken. Bei aller Anspannung zwang sie sich zur Ruhe und schloss noch einmal die Augen; da fiel ihr ein, wie es gehen könnte.
Sie dachte an Erik, den Bademeister, der ihr vor zehn Jahren in genau diesem Schwimmbad zum ersten Mal begegnet war – einem verträumten jungen Mann mit kurzen, glatt gekämmten dunklen Haaren, stets mit einem Buch vor der Nase, der sie erstaunt und an Paul Celan erinnert hatte. Er saß am Beckenrand auf einem dieser weißen Plastikstühle, die auch ein Solebad seinen Aufpassern zur Verfügung stellte und las in einem zerfledderten Taschenbuch, offensichtlich absorbiert von der Geschichte aus einer anderen Welt. Zunächst traute sie sich nicht, ihn anzusprechen, denn es schien ihr, als säße er inmitten einer Glocke aus flirrenden und tanzenden Satzfragmenten, die sie nicht zu durchbrechen wagte. Doch sie hatte den Lieblingsring ihrer Großtante beim Schwimmen verloren, das kostbarste Etwas, das sie besaß und traute sich nicht, danach zu tauchen. „Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe etwas sehr Wertvolles im Becken verloren, könnten Sie mir vielleicht bei der Suche behilflich sein?
Erik schüttelte sich kurz, blickte sie mit verklärten Augen an, zögerte danach keine Sekunde und sprang.
Natürlich war kein Erik in der Nähe. Bestimmt war er längst seinen Träumen hinterhergereist. Als sie sich hilfesuchend umschaute, vermieden die anderen Gäste jeglichen Blickkontakt. Und die aufsichtführende Bademeisterin war gerade mit einigen Kindern beschäftigt, die albernd und viel zu schnell über die glatten Kacheln geflitzt waren. Ihre Super-Idee verflüchtigte sich im Nebel des salzigen Wasserdampfes. Sie sah mit nachdenklichem Blick über die erneut von Sprudeldüsen in Bewegung gebrachte Wasserfläche, da kam ihr just das Ende eines Gedichtes in den Sinn. Verfasst von dem Lyriker Celan, an den sie damals Erik erinnert hatte. … ein Wort zu dem du herabbrennst‘. Aus ‚Feuer und Wasser‘. Das konnte kein Zufall sein.
Oder doch? Es war jetzt keine Zeit, um lange nachzudenken, schon gar nicht über dieses Gedicht, das sie seit jenem Morgen begleitet, als es eine Mitschülerin vor dem Unterricht an die Tafel schrieb. Obwohl, dieses Gedicht…, konnte es ihr gerade jetzt nützlich sein? Sie blickte auf das leuchtende Ding unter Wasser und dann lächelnd hoch zu ihrem heimlichen Verbündeten, dem Mond. Plötzlich wusste sie, was zu tun war.
Natürlich war es riskant, ihren Posten zu verlassen. Aber sie musste etwas riskieren, wenn sie erfahren wollte, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollte zu erfahren, was da auf dem Schwimmbadboden glitzerte. Betont lässig schwamm sie zum Glastunnel, der das Außen- mit dem Innenbecken verband, lächelte dem alten Herrn zu, der ihr entgegenkam. Mit fünf Stößen durchquerte sie den Tunnel und kletterte gleich am ersten Ausstieg aus dem Wasser. Sie lief zu ihrer Liege, streifte sich noch tropfnass ihren roten Bademantel über und kramte in ihrer Tasche.
Ihre Hand umfasste die Taucherbrille, die sie seit Jahren in ihrer Bademanteltasche trug, obwohl sie niemals tauchte. Sie schob die getönten Kunststofflinsen über ihre Augen und das Gummiband kniff in ihren Hinterkopf. Nun sah ihr die Welt in weichen Grüntönen entgegen, eine Welt, in der sie ihren Bademantel wieder abstreifen und zurück ins Außenbecken schwimmen konnte und ihr Gesicht wieder dem lockenden Leuchten vom Beckengrund zuneigte. Doch niemals würde sie es über sich bringen, ihren Kopf unter Wasser zu tauchen. Da sauste ein grün glühender Pfeil aus den Weiten des Sternenzelts herab und landete zischend im Wasser neben ihr und nun kam planschend das Köpfchen seines kleinen Passagiers an die Oberfläche. „สวัสดีตอนค่ำ“, sagte das Universalpferdchen mit heller Stimme, „ich heiße Wunschwort – und wer bist du?“ „Gertrud“, antwortete die Badende und sah erst jetzt den Fisch auf des Pferdchens Rücken. „Hallo Gertrud, ich bin Taro, gekommen, Dir einen Wunsch zu erfüllen.“ Taro reichte ihr ein Blatt, auf das sie ihren Wunsch notieren solle, den er in einem fernen Land jenseits der Meere an den Wunschbaum hängen werde. „Aber mach bitte schnell, es ist ja fürchterlich kalt bei Euch! Wie hältst Du das nur aus im Badeanzug?“
„Musst du mich so hetzen?“, maulte Gertrud und bereute es gleich wieder, denn Taro war nett und sie sah, wie sehr er zitterte. „Tschuldigung?“, murmelte sie, überlegte kurz und länger und zwei weitere Schwimmrunden der älteren Dame mit grellpinkfarbener Badehaube weiter begann sie zu schreiben.
„ERIK!“ Echt, jetzt?“, fragte Taro. „Ich bin aus dem fernen Land der Sonne und der Wünsche hierhergereist und du schreibst „Erik“ auf den Zettel. Also, echt jetzt!“
„O.k., ich überlege nochmal. Willst du vielleicht solange in das warme Entspannungsbad gehen, dann musst du nicht so frieren!“, bot Getrud an und hoffte so ihre Unhöflichkeit von eben wiedergutzumachen. Sie hatte die letzten Worte kaum ausgesprochen, da war Taro auch schon verschwunden und ein spitzer Schrei aus dem Entspannungsbad zeigte ihr, dass er angekommen war. Gertrud schaute in den Nachthimmel, aber da war kein Wunsch mehr abzulesen. Sie seufzte, rückte ihre Taucherbrille zurecht und schrieb. „Na, endlich!“, sagte Taro, wieder neben ihr. „Ist das dein Ernst?“, fragte er mit Blick auf das Wort. „Ja!“, sagte Gertrud genervt und fragte sich kurz, ob Taro wirklich die Idealbesetzung für diese heikle Aufgabe war. „Na, dann schauen wir mal, ob der Wunschbaum das besser versteht als ich!“, sagte Taro.
Mit einem Kopfschütteln packte Taro das Blatt mit Gertruds Wunsch unter seine linke Seitenflosse und verabschiedete sich mit einem genervten „na dann“ von Gertrud. Dann verschwand er und das Universalpferdchen in den Nachthimmel so plötzlich wie er vorher aufgetaucht war. Nur das langsam verschwindende Glühen des grünen Pfeiles zeigte Gertrud, dass sie doch nicht geträumt hatte und die Begegnung real gewesen war. Einen Augenblick war sie so im Gedanken an diese eigenartige und skurrile Begegnung vertieft, dass sie den Grund für die Taucherbrille auf ihrer Nase fast vergessen hätte. Auf einmal fiel ihr siedend heiß ein, dass sie das Wort falsch geschrieben hatte und somit ihr Wunsch wahrscheinlich gar nicht Erfüllung ging. Traurig und enttäuscht, nahm sie die Taucherbrille ab.
Etwas benebelt von den Ereignissen legte sie sich auf die Plastikliege am Beckenrand, schmiegte sich in ihren roten Bademantel, zog den Gürtel etwas enger zu als sonst und schloss ihre Augen. Angestrengt versuchte sie darüber nachzudenken, was sie geschrieben hatte – dabei bebten ihre Nasenflügel ganz leicht und kaum sichtbar. Niemand anderem außer Erik war dieses Phänomen je aufgefallen, aber sobald das Beben in diesem Teil des Gesichtes erschien, konnte man sicher sein, dass Gertrud vollkommen eingetaucht war in ihre Gedankenwelt.
„Warum will es mir einfach nicht gelingen, meine Wunschworte aufzuschreiben? Warum macht meine Hand, was sie will sobald ich ihr einen Stift gebe?“
Das undefinierbare Ding am Boden des Solebades leuchtete immer noch matt vor sich hin, Gertrud hatte inzwischen ihre Augen wieder geöffnet und auf einmal überkam sie beim Anblick dieses schimmernden Lichtes eine wundersame, nie geahnte Ruhe.
2 Comments
Liebe Hedda,
„Warum macht meine Hand, was sie will sobald ich ihr einen Stift gebe?“ Dank Dir bekommt unsere Geschichte sogar eine philosophische Dimension! 😉
Liebe Grüße
mo…
Liebe Mo,
wer weiß, was sich noch alles in dieser Geschichte entwickelt…
Beste Grüße und ich freue mich schon, wenn wir uns wieder treffen!
Hedda